SchlagBaum

21. März 2007

"Die Bundesliga ist keine Elite"

Er ist einer der erfolgreichsten Hockeytrainer der Welt, nun berät er den DFB und ist Sportdirektor beim Fußball-Regionalligaklub Hoffenheim. Bernhard Peters im FAZ-Interview über uralte Trainingsmethoden, mangelnde Kreativität und Schizophrenie im Leistungssport.

Gefallen Sie sich in der Rolle des Gurus in Sachen Hochleistungssport?
Ich bin wirklich kein Guru. Ich bin jemand, der schon lange im Hochleistungssport und dort in der olympischen Sportart Hockey Weiterentwicklungen vorangetrieben hat und für alle Richtungen und Transfermöglichkeiten aus anderen Sportarten offen ist.
Es gibt Leute im Fußball, die halten Sie für einen Besserwisser. Da wird es etliche geben. Ich sehe mich aber in einer unabhängigen Rolle. Ich bin ungeduldig und auch mal undiplomatisch. Ich will bei meiner Arbeit nicht im Einheitsbrei des Fußballs versinken.

Wie sieht Ihre Zwischenbilanz aus?
Es ist sehr viel schwerer, Gewohnheiten umzustellen. Ich vergleiche den Fußball mit einem Riesentanker, der nur sehr schwer in der Richtung zu bewegen ist. Es gibt unheimlich viele Leute, die meinen, reinreden zu müssen. Und es gibt viele Leute, die von morgens bis abends Angst haben vor der Reaktion der Medien.

Diese Erfahrung fehlte Ihnen? Der psychische Druck, der von außen und vor allem durch die Boulevardmedien produziert wird, ist nicht vergleichbar mit Hockey.

Wie halten Sie dagegen? Ich habe da ein anderes Selbstverständnis. Mein Selbstbewusstsein hängt nicht von Schlagzeilen in "Bild" ab. Diese Zeitung hat mich zuerst heruntergeschrieben, als Jürgen Klinsmann diese komische Idee mit dem Hockeytrainer hatte und unter Druck kam nach dem 1:4 gegen Italien. Als ich im Sommer dann Hockey-Weltmeister wurde, hieß es "Magier Peters" und warum dieser Mann zum DFB muss. In diesem Spannungsfeld habe ich mich in einem Jahr bewegt. Ich kann damit nichts anfangen, auch wenn die Leute im Fußball mir immer sagen, ich müsste diese Zeitung lesen. Ich möchte sie nicht lesen, auch wenn ich natürlich mit ihr professionell zusammenarbeiten kann.

Was ging Ihnen durch den Kopf, als Jürgen Klinsmann Sie zum Sportdirektor des Deutschen Fußball-Bundes (DFB) machen wollte und damit für so viel Aufregung beim Establishment sorgte? Ich habe ein bisschen in mich hineingelacht. Ich arbeite schon fünfzehn Jahre erfolgreich mit vielen verschiedenen kompetenten Fachleuten im olympischen Spitzensport - nur hat das bis dahin nur wenige interessiert. Das zeigt die ganze Schizophrenie im Leistungssport. Jede Kleinigkeit im Fußball wird an die große Glocke gehängt, was woanders passiert, interessiert niemanden. Ich bin ja ein Lehrling im Fußball, aber ich weiß, wie Sport funktioniert.

Die Fußballbranche nimmt sich sehr wichtig. Spieler und Trainer sehen sich als Leistungselite. In der Mehrzahl ist das in der Bundesliga gewiss keine Leistungselite. Das sind gute Leistungssportler. Wir haben Weltmeister oder Olympiasieger im Hockey, Kanu, Rudern oder anderen Sportarten, die nebenbei gute Berufe haben und zwei Trainingseinheiten täglich leisten. Das sind für mich echte Leistungseliten.

Francisco Copado hat behauptet, er hätte noch nie so viel trainiert wie in Hoffenheim. Und er hat schon in der ersten und zweiten Liga gespielt. Überrascht Sie das? Ich muss sagen, dass wir unter der Leitung von Trainer Ralf Rangnick das Trainingspensum langsam steigern, viel auf individuellem Gebiet machen und uns wohl mehr mit der Mannschaft beschäftigen als manch andere. Anscheinend ist es mehr als bei Copados vergangenen Stationen.

Die Trainingsmethoden im deutschen Fußball stehen schon länger in schlechtem Licht. Die Mechanismen im Fußballtraining sind seit hundert Jahren die gleichen. Da weiß jeder Profi, was wann trainiert wird - auch inhaltlich. Ein ganz wichtiges Trainingsprinzip für Erfolg ist aber Variation. Wenn ich immer die gleiche Übungsform praktiziere, also am Mittwoch von drei bis halb vier Torschusstraining mit den drei immer gleichen Varianten, darf ich mich nicht wundern, wie am Wochenende gespielt wird.

Wie sieht Ihr Denkmuster aus? Es gibt viele Beispiele in Individual- und Mannschaftssportarten, wo sehr systematisch Leistung geplant und über einen langen Zeitraum entwickelt wird. Dem Fußball fehlt durch seine eingefahrenen Strukturen Kreativität und Denken von außen.

Verwundert Sie, dass es beim DFB keine Aufzeichnungen gab über die Leistungsentwicklung der Nationalspieler? Man hat über viele Jahre in seinem eigenen Saft geschmort. Ein System im System, dessen Schwächen auch noch zugedeckt wurden durch die Erfolge, welche die A-Nationalelf mehr schlecht als recht reinholte. Durch die Multiplikatorenwirkung der alten, tradierten Methoden auch in der Trainerausbildung wurde nicht mehr hinterfragt, was da überhaupt passiert. Mit dem Talentprojekt ist das jetzt besser geworden, aber bei Qualitätsmanagement und -steuerung gibt es hier noch viel zu verbessern.

Der ehemalige Bundestrainer und heutige Nationaltrainer von Nigeria, Berti Vogts, hat gesagt, dass deutsche Trainer in der Welt deshalb so gefragt seien, weil die deutsche Trainerausbildung die beste der Welt sei. Stimmt das? Wir im Sport-Kompetenz-Team beim DFB haben da eine diametral entgegenstehende Meinung zu Herrn Vogts. International geht's an der Spitze ganz anders ab, da müssen wir echt besser werden.

Bayern-Vorstandschef Karl-Heinz Rummenigge sieht einen direkten Zusammenhang zwischen Minderleistung der Vereine und fehlenden Millionen auf dem Konto. Schießt nur Geld Tore? Bis zu einem gewissen Grad hat Herr Rummenigge recht. Aber es muss neben Macht und Geld über einen Spieler noch ein drittes und viertes Steuerungselement für Entwicklung geben. Zum Beispiel die Formen von intensiver emotionaler Führung und der qualitätvollen Trainingsarbeit. Nur mit Macht und Geld werde ich nicht über einen mittelfristigen Zeitraum eine erfolgreiche Zusammenarbeit zwischen Trainer und Mannschaft hinbekommen. Im Fußball wird zu wenig investiert in die sportliche Entwicklung von Spielern. Es wird schnell gesagt, der ist nicht gut, wir holen den nächsten. Meine Philosophie ist eine andere.

Nämlich? Ich glaube, dass in den Jugendleistungszentren der Profiklubs schon ganz gute Arbeit geleistet wird. Aber mir ist da zu viel Konformismus. Entsprechend einer kreativen Persönlichkeitsentwicklung und einer spielerischen Entfaltung ist das kontraproduktiv. Die Spieler haben ein hohes Maß an Disziplin und Gehorsam, sehen bei jedem Training bis auf die Unterhose gleich aus. Alle wollen sie in den Profifußball und auf diesem Weg nicht negativ auffallen. In diesem vorgegebenen Tunnel kann sich keine spielerische Kreativität, keine Individualität, kein Spielwitz entwickeln. Es gibt so viele Talente, die gut Fußball spielen. Aber wir müssen uns die Frage stellen, weshalb sich so wenig bis in die Spitze durchsetzen.

Woran könnte es liegen? Zum Beispiel die zu frühe Ergebnisorientierung. In vielen Landesauswahlteams wird deshalb doch immer auf die körperlich Besten gesetzt, nicht auf die mit dem größten Talentpotential. Ich möchte den jungen Spielern nichts verwehren, es geht mir um eine breite taktische, kreative Ausbildung ohne größere Festlegungen auf Positionen und eine methodisch langfristig angelegte Motivation Richtung Erwachsenenalter. Wenn ich nur ergebnisorientiert trainiere, enge ich diesen Korridor im Alter von 14 bis 16 zu sehr ein. Außerdem werden Spieler selten gefördert in ihrer intellektuellen, emotionalen Persönlichkeitsentwicklung. Ich glaube, wer zu früh auf die Karte Fußball setzt und sich mit nichts anderem beschäftigt, kann sich nur schwer weiterentwickeln.

Sollen Podolski und Schweinsteiger nebenbei eine Lehre machen oder studieren?
Für mich gehört zur Leistungsphilosophie, dass alle Systeme weiterentwickelt werden müssen, weil sie sich gegenseitig befruchten. Die jungen Spieler werden dann zu einer kreativen Spielerpersönlichkeit, wenn sie ihren intellektuellen Horizont erweitern. Ich glaube, es ist gut, einen jungen Spieler Tag für Tag stark zu fordern. Entsprechend besser organisiert, flexibler und stressresistenter kann er am Spiel teilnehmen. Es wird niemand zu einem wirklich guten Spieler, wenn er fünf- oder sechsmal in der Woche trainiert und ansonsten nur RTL 2 guckt. Er hat sich auch mit anderen Dingen zu beschäftigen, um eine kreative Rolle mit Führungsqualitäten auszufüllen.

Ihre Theorie heißt also: Mehr intellektuelle Fähigkeiten bedeuten mehr Spielintelligenz auf dem Platz?
Das ist keine Theorie. Das ist gelebte Erfahrung aus zwanzig Jahren im Hockey. Ich habe viele Spieler vom „U15“-Alter bis in die Nationalmannschaft begleitet. Diejenigen, die vom Zeitmanagement, von ihrem Willen und ihrer intellektuellen Selbstinitiative am meisten aufgebracht haben, sind zu Spielerpersönlichkeiten auf olympischem Topniveau geworden, die eine Mannschaft führen können.

Hockeymannschaften sind sehr homogen - vom Ingenieur als Torwart bis zum Jurastudenten im Sturm. Im Fußball existieren zwischen den Charakteren viel extremere Unterschiede.
Das ist ja nicht schlimm. Ich habe großen Respekt vor jemanden, der sich mit seinen intellektuellen Fähigkeiten weiterentwickelt. Jeder auf seinem Niveau.

Wählen Sie interessante Spieler vor allem nach Bildungsgrad und intellektuellen Fähigkeiten aus?
Wir haben eine soziale Komponente in der Stiftung von Herrn Hopp, die besagt, dass jeder ein Angebot auf seinem Niveau erhalten sollte. Wir geben allen eine Chance.

Wie sieht es mit der Akzeptanz unter den Spielern aus? Sehen die das wie Sie?
Es ist interessant: Mich haben drei Spieler vom Profiteam angesprochen, die an einem Studium interessiert sind. Es ist doch nur klug, sich jetzt schon für ein Berufsleben nach der Profilaufbahn zu qualifizieren. Hier für ein Umdenken zu sorgen, sehe ich als meine Aufgabe an. Wir müssen diese Eindimensionalität aufbrechen, die zu mangelnden Leistungen und Versagensängsten führt. Junge Spieler glauben doch, wenn sie im Fußball versagen, fielen sie in ein tiefes Loch. Sie haben nur diese eine Identität als Fußballer. In diesem Umfeld lässt sich nur schwer Kreativität entfalten.


Bernhard Peters ist einer der erfolgreichsten Hockeytrainer weltweit. Er wurde zunächst sowohl mit den Juniorinnen als auch mit den Junioren Weltmeister. Nach dem enttäuschenden fünften Platz bei den Olympischen Spielen 2000 in Sydney übernahm er die Herren-Nationalmannschaft und führte sie zwei Jahre später zum ersten Weltmeistertitel in der Geschichte des Deutschen Hockey-Bundes. Dem Gewinn der EM 2003 folgte der dritte Platz bei den Olympischen Spielen in Athen 2004. Für Peters eine kleine Enttäuschung und der Grund, die komplette Vorbereitung noch einmal zu hinterfragen. „Ich habe Fehler gemacht“, bekannte er danach und machte 2006 vieles anders und wohl alles besser: Deutschland verteidigte im eigenen Land etwas überraschend den Weltmeistertitel. Zuvor war der Diplom-Sportlehrer bundesweit bekannt geworden, als ihn der damalige Bundestrainer Jürgen Klinsmann als Sportdirektor zum Deutschen Fußball-Bund (DFB) holen wollte. Der Plan scheiterte am energischen Widerstand der Fußball-Branche, die ihren Kandidaten Matthias Sammer durchsetzte. Mittlerweile sitzt der 46 Jahre alte Peters als Berater im Kompetenzteam des DFB und ist Direktor für Sport- und Nachwuchsförderung beim Fußball-Regionalligaklub TSG Hoffenheim.


Das Interview mit Bernhard Peters führte Peter Penders. Wir danken dem Autor und der FAZ für die freundliche Genehmigung zum Abdruck.

 


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